Veranstaltung: | 55. Landesversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 19 Weitere Anträge (V-Anträge) |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Stanislav Elinson, Lea Fränzle, Marie Müser, Sandro Zimmermann, Olaf Horlbeck, Gerhard Liebscher, Mehmet Atci, Daniel Gerber, Denis Korn,Thorge Babbe, Claudia Kurzweg |
Beschlossen am: | 15.05.2022 |
Eingereicht: | 13.05.2022, 15:39 |
Sachsen auf dem Weg zur Energiesouveränität
Beschlusstext
Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die
Ukraine am 24. Februar 2022 befinden wir uns inmitten einer Zeitenwende. Wir als
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen verurteilen den vom Kreml ausgehenden Krieg auf
das Schärfste.
Zugleich stehen wir angesichts immer weiterer Kriegsverbrechen und der
Großoffensive der russischen Armee in der Ost- und Südukraine in der
Verantwortung, politische Wege hin zu einem vollständigen Importstopp russischer
Energieträger nach Europa zu ermöglichen. Die russische Invasion stellt eine
Zäsur für Deutschland und Europa dar; außen- und sicherheitspolitisch, aber auch
für die Wirtschafts-, Verkehrs- und Energiepolitik.
Jetzt rächt sich, dass die Großen Koalitionen trotz der dauerhaften
völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland seit 2014 Deutschland
weiter in eine energiepolitische Abhängigkeit von Russland getrieben haben.
Die Abhängigkeiten von Energieimporten aus Russland sind dabei nicht nur in
Deutschland enorm, sondern stellen zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten vor große
Herausforderungen. Es besteht die wesentliche Aufgabe, Importmengen aus
russischen Quellen durch andere Importquellen zu ersetzen bzw. den Verbrauch zu
reduzieren. Wir gehen damit den seit der Annexion der Krim und den anhaltenden
Aggressionen im Osten der Ukraine von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angestrebten Weg der
energiewirtschaftlichen Unabhängigkeit von Russland weiter.
Zur Erhaltung der Versorgungssicherheit und Unterstützung der betroffenen
Unternehmen in Sachsen fordern wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen folgende
Initiativen.
Erdgas
Erdgas deckt ca. 26 Prozent des kompletten Energiebedarfs in Deutschland. Nahezu
die gesamte verbrauchte Erdgasmenge in Deutschland wird importiert, davon bis
zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine rund 55 Prozent aus Russland. Auf Grund
dieser umfassenden Abhängigkeit bei Erdgas ist eine schnelle Diversifizierung
der leitungsgebundenen Gasversorgung notwendig. Dazu braucht es eine gezielte
gemeinsame Anstrengung der europäischen Gemeinschaft und eine Anpassung der
vorhandenen Infrastruktur zu deren optimaler Ausnutzung. Mit verbindlichen
Füllstandsvorgaben für die Wintermonate im Gasspeichergesetz ist bereits ein
entscheidender Schritt unternommen worden, um die Speicherinfrastruktur im Sinne
der Versorgungssicherheit optimal zu nutzen.
Wir begrüßen die derzeitigen Anstrengungen, (H2/ Green Gas-ready) LNG-Terminals
in Deutschland zu errichten. Bei den neu entstehenden Lieferbeziehungen wollen
wir darauf achten, dass diese nicht zu dauerhaften Lock-in-Effekten führen. Wo
es zur Aufrechterhaltung industrieller Prozesse kurzfristig nötig und möglich
ist, soll Erdgas mit klimaneutral hergestelltem Wasserstoff ersetzt werden. Dazu
fordern und fördern wir die Umstellung dieser Prozesse. Auch gilt es, Potenziale
für Biogas zu evaluieren.
Wir begrüßen es, dass tagesaktuell branchenbezogene Analysen zu den Auswirkungen
der aktuellen Lage am Gasmarkt auf sächsische Unternehmen sowie Einrichtungen
der Daseinsvorsorge erarbeitet werden. Auf der Grundlage der laufenden Analysen
werden die Abhängigkeiten in den Lieferketten identifiziert und folglich alle
direkt und indirekt systemrelevanten Prozesse abgeleitet. Für einen regionalen
Ausgleich bei möglichen Engpässen halten wir kontinuierliche Energiedialoge der
Grundversorgungsunternehmen mit den Großabnehmer*innen auf freiwilliger Basis
über den gesetzlichen Standard hinaus für sinnvoll. Wir halten darüber hinaus
die laufende Prüfung und Schaffung von geeigneten und zielgerichteten
Hilfsmaßnahmen für energieintensive Unternehmen für notwendig.
Öl und Ölprodukte
Erdöl hat eine wesentliche Rolle als Treibstoff und zur stofflichen Nutzung
unter anderem in der Chemieindustrie. Bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs hatte
Deutschland eine Abhängigkeit von russischen Erdölimporten von ca. 35 Prozent.
Dank erheblicher politischer Anstrengungen auf Bundesebene ist diese
Importabhängigkeit innerhalb von wenigen Wochen auf nunmehr 12 Prozent gesunken.
Wir begrüßen den von der EU-Kommission vorgeschlagenen zeitnahen Importstopp
derÖllieferungen aus Russland. Gerade vor dem Hintergrund der über die Druschba-
Pipeline noch immer stark von russischen Öllieferungen abhängige Wirtschaft
Ostdeutschlandsunterstützen wir die aktuellen Bemühungen der Bundesregierung um
alternative Lieferbeziehungen, etwa über die Häfen Rostock und Gdańsk/Danzig.
Zur Reduktion des Treibstoffverbrauchs durch Privathaushalte setzen wir uns für
ein Tempolimit, autofreie Tage sowie die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs
auf fossil angetriebene Fahrzeuge ein. Der Fahrzeugbestand des ÖPNV muss zügig
elektrifiziert und das Angebot insbesondere im ländlichen Raum durch bessere
Taktungen und flexible Mobilitätskonzepte ausgebaut werden. Zur Steigerung der
Attraktivität des Radverkehrs sollten temporäre Radwege ins Straßennetz
eingebunden und Bike-and-Ride-Stellplätze an den Bahnhöfen und Haltepunkten
eingerichtet werden. Zudem sollte der Einsatz von pedalierten oder elektrischen
Leichtfahrzeugen für die letzte Meile durch Logistikunternehmen und
Lieferdienste verstärkt gefördert werden.
Die Nutzung von Homeoffice sollte stärker als bisher gefördert und so Anreize
zur Vermeidung von Geschäftsreisen geschaffen werden. Schließlich muss die
preisliche Attraktivität von Bahn- gegenüber Flugreisen gesteigert werden, z.B.
durch Einführung einer Energiesteuer auf Flugkerosin.
Zur Abfederung sozialer Härten braucht es einen Ausgleichsmechanismus für
besonders betroffene Bevölkerungsgruppen. Bei finanziellen Maßnahmen für
Privathaushalte ist vor allem auf eine zielgerichtete Entlastung niedriger
Einkommen durch direkte Zahlungen zu achten. Finanzielle Hilfen nach dem
Gießkannenprinzip halten wir hingegen für wenig zielführend.
Kohle
In den letzten Wochen wurde die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von
Importen russischer Kohle bereits spürbar reduziert. Wir begrüßen alle
Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, die Einigung der EU-Mitgliedstaaten
umzusetzen, bis Ende 2022gänzlich auf russische Steinkohle zu verzichten.An
unserem Ziel, in Deutschland idealerweise bis 2030 aus der Kohleverstromung
auszusteigen, halten wir als BÜNDNISGRÜNE fest.
Erneuerbare Energien
Wir sorgen dafür, dass der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien Auftrieb
gewinnt undauch gesetzlich im überragenden öffentlichen Interesse liegt. Wir
begrüßen die von der Bundesregierung formulierten Ausbauziele und wollen auch in
Sachsen die davon abgeleiteten Flächenziele für Erneuerbare Energien umsetzen.
Dies trägt auch zum Erhalt der eigenen Handlungsfähigkeit bei. Zudem wollen wir
den Ausbau von Photovoltaik- und Windenergieanlagen, insbesondere bei der Länge
der Genehmigungsverfahren, beschleunigen. Der Baubeginn der LNG-Terminals in
Niedersachsen zeigt, wie schnell Maßnahmen zur Energieinfrastruktur angegangen
werden können, wenn alle Planungsebenen mitziehen. Eine enge Zusammenarbeit
zwischen Bund, Ländern und Kommunen trägt entscheidend zurBeschleunigung
vonGenehmigungsverfahren für Erneuerbare Energien bei.
Unser Ziel ist es,für diese Aufgaben die Planungs- und Genehmigungsbehörden
personell angemessen auszustatten. Auch sorgen wir dafür, den dezentralen Ausbau
der Erneuerbaren Energien, vor allem über Bürgerenergiegesellschaften, weiter zu
erleichtern.Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen wollen zusammen mit dem
Handwerk und der Industrie Initiativen zur schnelleren Umsetzung der
Energiewende auf den Weg bringen.
Neben den genannten Maßnahmen wollen wir durch Einsparungen und
Effizienzsteigerung der Energiesouveränität näher kommen. Die Förderung von
Initiativen zur Steigerung der Energieeffizienz in Unternehmen, beispielsweise
durch Einführung von Energiemanagementsystemen, wollen wir verstärken.Besonderes
Potenzial hinsichtlich der Einspar- und Effizienzeffekte haben auch gesetzliche
Anpassungen im Gebäudesektor.Die Mindeststandards im Gebäudebestand und im
Neubau sowie die Anforderungen an die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung
müssen mit dem 1,5-Grad-Pfad in Einklang gebracht werden. Dies muss mit sozialen
Ausgleichsmaßnahmen flankiert werden.
Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine markiert eine sicherheitspolitische
Zeitenwende in Europa. Energie- und wirtschaftspolitisch erfordert diese Zäsur,
den durch die Bundesregierung eingeschlagenen Weg einer konsequenten
Energiewende noch beherzter zu verfolgen. Damit leisten Sachsen und Deutschland
ihren Beitrag zur Sicherung der gesamteuropäischen Energiesouveränität und
Sicherheit.
Begründung
Begründung erfolgt mündlich.